Aus dem Leben zweier Chemiker

Habt ihr euch eigentlich schon einmal gefragt, was Chemiestudenten in ihren Laboren so treiben? Die letzten drei Wochen habe ich mit meinem Laborpartner instrumentelle Analysen durchgeführt, bei der mittels teurem Gerät der Gehalt eines bestimmten Stoffes in der Analysensubstanz festgestellt wird. Doch statt die Funktionsweise der Geräte zu erläutern (was man sich ja auch ergooglen kann) soll hier für alle Menschen ohne Zugang zu chemischen Laboren berichtet werden, welche Arbeitsatmosphäre (abgesehen von der wohlgefilterten Laborluft) eigentlich herrscht. Aber lesen Sie selbst:

Aus dem Leben zweier Chemiker: Quantitative Analyse, Tag 1: Ich bin mal wieder Personifikation des Zitates ,,Pünktlichkeit ist der Dieb der Zeit”. Eigentlich wollte ich um 14:30 im Labor sein, um so hochgradig überbewertete Kleidungsstücke wie Laborkittel abzuholen, aber bin erst um 14:50 da. Glücklicherweise war mein Laborpartner aka Friedrich nicht viel früher da. Nachdem ich eine Weile planlos im Institut rumlaufe, sehe ich eine graue Schiebermütze. Perfekt. Wie soll ich Friedrich auch sonst finden. Also suchen wir erstmal den Raum mit den gewaschenen Laborkitteln. Irgendwie habe ich meine Arbeitskluft doch vermisst. Komplexometrische Cobaltbestimmung mit photometrischer Endpunktserkennung, lautete der Arbeitsauftrag. Klingt kompliziert, ist es nicht. Im Grunde mussten wir nur ein paar Knöpfe drücken und Extinktionswerte notieren. Zeit genug für Friedrich, mindestens zwölf blöde Sprüche/Minute zu bringen (unter anderem war er der Ansicht, dass ich mit 11 mein geistiges Alter maßlos überschätzer Mein Bedürfnis nach einem Hassverbrechen steigt exponentiell. Leider kann ich nur 5 blöde Sprüche/minute bringen, aber meine Quote wird sicher besser werden. Immerhin haben wir trotz der Frotzeleien einen Aliquot mehr geschafft als wir müssten, also ein guter Arbeitstag, würde ich im Allgemeinen sagen.

Aus dem Leben zweier Chemiker: Quantitative Analyse, Tag 2: Überhole Lit Marvin a.k.a. Liv Marit auf dem Weg zum Zuspätkommen zum Praktikum und sorge für ihr erstes “Halt dein Maul” des Tages. Ankunft, Umziehen, Lit Marvin lässt einen Strapsel ihres Schulmädchen-Ranzens aus dem Spind hängen. Sloppy. Behalte meine Schiebermütze während des Praktikums auf – bin sehr schneidig und verwegen. Zwei Titrationen auf einmal, um die verpasste vom letzten Donnerstag nachzuholen. Arsen (siehe https://www.youtube.com/watch?v=5OuWW9Zuexk für Details zum Ablauf) verläuft relativ schnell und problemlos, da wir auf die Hilfe von unseren Kollegen zurückgreifen können, die sich tatsächlich damit beschäftigt haben, was bei dem Versuch zu tun ist. Danach die Karl-Fischer-Titration zur Wasserbestimmung; die einfachste aller Bestimmungen, die easy die volle Punktzahl ergeben wird – immerhin übernimmt die Maschine die ganze Arbeit. Wir verkacken es in epischer Form. Es beginnt damit, dass wir beim Wiegen mit unseren Händen ans Glas fassen und unsere Fingerabdrücke das Wiegeergebnis verfälschen. Erste Analyse für den Müll. Dann startet Lit Marvin die 2. Analyse, bevor wir das Gewicht der Analyse eingegeben haben. Zweite Analyse für den Müll. Drei weitere Analysen durchgeführt, dann fällt uns auf, dass wir SEIT TITRATIONSANFANG verkackt haben, dass man eine Kanülenspritze zur Probenentnahme verwenden soll und nicht das Kinderbadespielzeug, mit dem wir so überzeugt rumgematscht haben. Dritte, vierte und fünfte Analysen für den Müll. Sechste und letzte Probenentnahme – das muss klappen; das ist die einzige Probe, die wir korrekt durchführen. Denken wir. Daaann hat die Maschine einen Aussetzer, kalibriert die Probe weg und verkündet fröhlich: conditioning ok. Sechste Analyse für den Müll. Wir müssen das Ding vermutlich nochmal machen. Joy.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.

Friedrich J. Schnall

Aus dem Leben zweier Chemiestudenten: Quantitative Analyse, Tag 3: Ich war der Ansicht, überhaupt nichts vom heutigen Versuch verstanden zu haben, deshalb wollte ich etwas früher am Institut sein. Da mir aber die Prämisse ,,Pünktlichkeit ist der Dieb der Zeit” anscheinend zu sehr in Fleisch und Blut übergegangen ist, war ich doch wieder unpünktlich. Glücklicherweise ist Friedrich jemandem über den Weg gelaufen, der die Analyse bereits gemacht und demzufolge mehr Ahnung als ich hatte. Schließlich erfuhr ich dann, dass alles, was wir heute im Grunde tun müssen, Maßlösungen herzustellen ist. Friedrich hatte zwar vom Dienstag, ein, wie er es ausdrückte, Wassertrauma, aber diesmal ging alles gut, keine Toten und Verletzten. Unsere Nachbarn waren außerdem auch amüsiert darüber, dass 90% unserer Unterhaltungen nicht aus Chemie, sondern aus blöden Sprüchen bestehen (irgendwann verkaufe ich Friedrichs Schiebermütze und damit seine Seele). Hinterher konnten wir außerdem die übrig gebliebenen Lösungen sogar einfach ins Waschbecken kippen. Als Chemiestudent ein ungewöhnliches Gefühl; normalerweise vergiftet man mit einem ins ausgekippte Müllglas die halbe Stadt (wenn man den Assistenten glauben will, aber dann müsste halb Bonn tot sein). Jedenfalls haben wir dann am Ende die hergestellten Lösungen abgegeben und das ICP-OES (Inductively Coupled Plasma Optical Emission Spectrometry) alles machen.

Liv Marit Frey

Leben zweier Chemiestudenten, Nachtrag zu dieser Woche Montag: Quantitative Analyse, Tag 4: Wir treffen uns früher, um die vorigen Protokolle fertigzustellen, in der Cafeteria. Lit Marvin wie üblich zu spät. Saftladen. Die heisenbergsche Unschärferelation kickt: Bei zu genauer Untersuchung des Gewichts meiner Bemerkungen ist keine Messung der Geschwindigkeit unseres Arbeitstempos mehr möglich. Wir unterhalten mit unseren Frotzeleien, die ich aufgrund meiner persönlichen Großartigkeit ab jetzt Fritzeleien nennen werde, eine Mitstudentin, die neben uns die Känguru-Chroniken liest. +10 Ehre. Lit Marvins Rechner kommt nicht mit dem Auswertungsprogramm klar. Ich sage ihr, sie hätte halt nicht in ein Modell investieren sollen, das, obwohl neuwertig, so aussieht und sich so anfühlt wie das Gerät, auf dem das Standesamt ihre Geburtsurkunde angefertigt hat. Sie droht, mich zu hauen. Sie sollte an ihrem Repertoire sarkastischer Mindbreaker-Kommentare arbeiten. Nach auf Lit Marvins Seite höchst unproduktiven und auf meiner auch nicht optimal genutzten Vorarbeitszeit ins Labor. Besprechung, Abgabe der Protokolle, Panik über Abgabe der Protokolle, Versuchsbeginn. Simultanbestimmung von Salz- und Essigsäure (dürfen wir am Dienstag nochmal machen, weil wir irgendwas verhauen haben; bestimmt Lit Marvins Schuld), im Prinzip wie die Cobaltbestimmung von Tag 1 mit doppelt so viel Knöpfedrücken. Chinesische Wasserfolter ist nichts dagegen. Ich beginne, dreißig Prozent meiner Aufmerksamkeit auf das Herunterputzen meiner Laborpartnerin und weitere sechzig Prozent auf das Lesen von Online-Comics während des Protokollierens zu fokussieren. Sieben Prozent gehen für die interne Erörterung der Frage drauf, ob eine suizidgefährdete Person mit multiplen Persönlichkeiten als Geiselnehmer betrachtet werden sollte, zwei für die Frage, was es zum Mittagessen gibt, 0,9 für meine illegalen Nebeneinkünfte als Weltenherrscher. Das verbliebene Promille geht für die Protokollierung der von Lit Marvin diktierten Messdaten drauf. Dann kriegen wir unsere Protokolle wieder. Alle bestanden, SOGAR WASSER WTF HOW THE ACTUAL FLYING FUCK DID THAT HAPPEN… sage ich nicht. Aber ein wenig freue ich mich doch. Außerdem finde ich an diesem Tag heraus, dass der offizielle interstellare Gruß zwischen Bewohnern unterschiedlicher Planeten “Gnorts” ist. Warum? “Neil Armstrong” rückwärts gelesen ist “Gnorts, Mr. Alien” Have a nice day you turds.

Friedrich J. Schnall

Aus dem Leben zweier Chemiestudenten, Quantitative Analyse Tag 5, Dienstag der zweite November. Was bisher geschah: Friedrich und ich haben die Menge an Salzsäure falsch kalkuliert, was in wenig seltsam ist, da die Bestimmung von Ethansäure (dem gemeinen Volke als Essigsäure bekannt) welche simultan stattfand, richtig war. Frevelhafterweise haben die Assistenten vergessen, uns diesbezüglich eine Mail zu schreiben, sonst hätten wir das letzte Woche machen können. Hätte hätte Fahrradkette, es hilft alles nichts, wir müssen nochmal ran. Ausnahmsweise entscheide ich mich, gegen meinen Lebensgrundsatz, dass Pünktlichkeit der Dieb der Zeit sei, zum rechten Zeitpunkt am Institut zu sein. Unpraktischerweise ist Friedrich genauso pünktlich, da er ein Biomedizinerpraktikum tutorieren möchte, und im Rahmen dessen mit einem Assistenten sprechen muss. Die Studenten, die er später tutoriert, tun mir jetzt schon leid. Ich hoffe, dass sie überleben werden. Ob ich das werde, wird sich noch herausstellen. Ich mache mich nach diesem Schreiben schonmal an mein Testament. Nun ja, es heißt wieder Knöpfe drücken und mehr oder weniger sinnvolle Konversationen führen – unter anderem darüber, dass mein Konsum an Studentenfutter auf ein Pfund pro Woche gestiegen ist (irgendwie muss ich meinen Akademikerstatus ja rechtfertigen) und über den Sinn der Durchnummerierung seiner Freunde. In Friedrichs Falle ist das einfach, da es nicht so viele sind; ich habe ein paar mehr, da ich im Gegensatz zu ihm ein freundlicher, höflicher und zuvorkommender Mensch bin, nicht zu vergessen meine Bescheidenheit. Bisweilen werden unsere Konversationen durch Drücken von Knöpfen, welche tropfenweise Natronlauge hinzugeben und das Nennen von Leitwerten übertroffen, die ja diesmal nicht so falsch sein können. Denken wir.

To be continued

Liv Marit Frey

Aus dem Leben zweier Chemiker, Addendum – Qualitative Analyse Tag 6, Donnerstag, der 4. November. Die Salzsäurebestimmung wiederbekommen. Gloriose Verkackung; statt ca. 100 mg Salzsäure haben wir 120 angegeben und damit das Ziel krachend verfehlt. Ich verabschiede mich von dem Gedanken, heute noch OC zu lernen. Wir müssen nochmal ran – bei Nichtbestehen drohen -2 Punkte obendrauf auf die Punkte, die man ohnehin durch vergeigte Analysen einbüßt. Tröste mich damit, dass es bestimmt Lit Marvins Schuld war. Muntert mich etwas auf. Ran an die Analyse. Wir arbeiten effizient an zwei Geräten gleichzeitig, damit wir rechtzeitig fertig werden (heute ist der letzte Tag der Instrumentellen Analysen). Das übliche Hin und Her hält sich in Grenzen; zu beschäftigt mit Knöpfedrücken. Mein Gedanke des Tages: Würdet ihr lieber gegen 10 zombiegroße Hühnern oder 100 hühnergroße Zombies kämpfen? Dann an die Auswertung. Die hat den praktischen Zusatzeffekt, dass man erstmal noch jeden einzelnen erhaltenen Wert (insgesamt um die 120 Stück) in den Taschenrechner eingeben darf, um eine winzige Volumenkorrektur auszuführen. Joy. Danach Einzeichnen auf DIN-A3-Millimeterpapier. Teuer. Lit Marvin hat welches für 2,50 pro Blatt gekauft. Bin überzeugt, dass ihre Eltern ihr beim Ohrenschrubben versehentlich das Gehirn rausgerührt haben und gezwungen waren, es durch einen Aktivkohlefilter zu ersetzen: Ideen sickern langsam durch und jedwede logische Hinterfragung vor Aktionen wird vorab ausgesiebt. Auswertung ergibt extrem ähnliche Werte. Da wir mit zwei Geräten gearbeitet haben, gehen wir davon aus, dass wir richtig lagen. Wir geben ab voller naiver Hoffnung Ein Trugschluss. Am Abend erhalten wir eine Mail, die so unpersönlich ist, dass sie glatt als Mark Zuckerberg durchgehen könnte. Wir lagen zum 3. Mal falsch. -2 Punkte. Was ein Scheiß. (Zum Vergleich sei hier lediglich gesagt, dass wir keine andere Analyse überhaupt wiederholen mussten.)

Frustrationspegel für den Rest des Tages hoch. Wir wussten nicht einmal, was wir falsch gemacht haben. Nur dass es falsch war. Wenn ich später einmal auf der anderen Seite des Schreibtischs sitze, werde ich “versehentlich” ein paar Werte in der Datenbank vertauschen. Dann werden sie schon sehen. Sie alle. Das ganze ignorante Pack.

Friedrich J. Schnall

Ob sie es sehen werden, werden Sie sehen! Denn bald folgt der Tragikomödie zweiter Teil: Die klassischen Analysen.

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